Pressemitteilung
Aktuelles
28.05.20

Bericht zum Gerichtsverfahren am 15.05.2020 vor dem Amtsgericht in Ulm

Am 03.08.2019, gegen 22:50 Uhr, wurde in Ulm eine Gruppe schwarzer Männer auf der Schaffnerstraße vor dem Bürgerhaus von einem Mann attackiert, der direkter Nachbar des Sozialzentrums ist. Der Täter war bewaffnet mit zwei Schlagringen, einem Messer und einer CO2-Pistole und handelte aus rassistischen Motiven. Er schoss einen der Männer mit der CO2-Pistole an und verletzte ihn dabei.

Am 15.05.2020 wurde der Fall vor dem Amtsgericht Ulm verhandelt. Die Berichterstatter_innen nahmen an der Verhandlung als Zuschauer teil.

Prozessbeteiligte waren der Angeklagte Ralph F., sein Rechtsanwalt Milosevic, Staatsanwältin Krauth, der betroffene Mann als Nebenkläger, seine Rechtsanwältin Staudacher und Richter am Amtsgericht Oliver Chama.

Die Anklage lautete auf gefährliche Körperverletzung, unerlaubtes Führen von Schusswaffen, unerlaubtes Führen von Waffen, unerlaubter Besitz von Munition.

Der Angeklagte, so die Staatsanwaltschaft,  habe am 03.08.2019 die Wohnung verlassen, habe ohne den Waffenschein dafür zu besitzen eine CO2-Pistole Marke Smith & Wesson und zwei Schlagringe bei sich geführt. Er habe sich einer auf der Straße stehenden Personengruppe genähert und nach einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung die Pistole in ca. 50 cm Entfernung auf eine Person gerichtet und geschossen, habe den Betroffenen dabei am linken Schlüsselbein getroffen, was zu Verletzungen – eine Prellung und eine Hautabschürfung – beim Betroffenen führte. Der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt alkoholisiert gewesen mit 0,55 Promille Blutalkohol. Am 04.08.2019 seien bei einer Hausdurchsuchung beim Angeklagten mehrere Waffen, inklusive einer Armbrust, und Munition gefunden worden.

Der Angeklagte, Ralph F., war vorher noch nie straffällig geworden. Sein Anwalt verlas eine geschlossene Verteidigererklärung (die also keine Rückfragen erlaubt). Darin räumt der Angeklagte den Sachverhalt „vollumfänglich“ ein und „bedauere sein Verhalten und seine unnötige Eskalation und wolle sich entschuldigen“. Als Hintergrund für die Tat wird hier „Lärmbelästigung“ genannt. Der Angeklagte habe sich gestört gefühlt, habe eine lärmempfindliche kranke Frau zu Hause, habe am selben Abend bereits wegen Ruhestörung die Polizei gerufen, die unverrichteter Dinge abgezogen sei, bis er die Sache selbst in die Hand nahm. Er habe nur die Anwesenden zur Rede stellen und wegbitten wollen, wegen der Alkoholisierung sei es jedoch eskaliert.

Der erste Zeuge, der vom Gericht befragt wurde, war der Nebenkläger. Er schilderte, dass an dem Abend – wie üblicher Weise einmal im Monat -  ein Treffen seiner Gruppe im Bürgerhaus Schaffnerstrasse stattfand. Ca 15 Menschen seien anwesend gewesen, es habe keine Feier stattgefunden, man habe keine Musik gehört und man sei nicht besonders laut gewesen. Die Gruppe sei zuvor von der Hausmanagerin des Bürgerhauses gewarnt worden. Ein Mann habe ihr Probleme und Angst gemacht, sich wegen Lärm beklagt, und von ihr verlangt, dass sich keine Gruppen mehr im Bürgerhaus treffen, habe ihr gedroht. Wenn dieser Mann auftaucht, sollen sie sofort die Polizei rufen. Entsprechend seien sie besonders leise gewesen, der Mann sei für die Dauer des Treffens auch nicht aufgetaucht. Aber als sie nach dem Treffen mit 4-5 Menschen neben den Autos auf der Straße standen um sich zu verabschieden, sei ein Mann laut und aggressiv auf sie zugekommen und habe sie angeschrien, dass sie von hier verschwinden sollen. Er habe noch versucht den Mann zu beruhigen, doch der Mann habe sich nicht beruhigen wollen. Er habe ganz schnell eine Pistole hervorgezogen, direkt auf ihn gezielt, und ihn angeschossen, zwei Mal.

Eindrücklich schilderte der Betroffene, wie er glaubte erschossen worden zu sein. „Ich dachte, nun ist es vorbei. Jetzt ist es aus.“ Dass es keine echte Pistole war, konnte er nicht wissen. “Dann habe ich realisiert: Ich blute, aber ich bin noch am Leben!“ Schnell konnte er den Täter entwaffnen und zu Boden legen. Die Polizei wurde gerufen und übernahm die Waffe und den Täter.

Körperlich wurde der Betroffene nicht schwer verletzt: Das Geschoss traf den Knochen am Schlüsselbein, es kam zu einer Prellung und Hautabschürfung. An den Handgelenken verletzte er sich, als er den Täter zu Boden drückte (Handgelenkdistorsion beidseits, laut ärztlichem Befundbericht). Schwerwiegender seien die psychischen Folgen: Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit. Er habe auf der Straße nicht mehr normal gehen können, habe sich immer umgedreht und gedacht, jemand stehe vielleicht hinter ihm und wolle ihn angreifen. Er habe seitdem nicht mehr arbeiten können, werde erst im Juli wieder zur Arbeit gehen. Er habe sich in therapeutische Behandlung begeben müssen.

Im Anschluss wurden die Bewohner des Bürgerhauses befragt und ein Vertreter des Vereins, der das Haus verwaltet. Alle Bewohner bestätigten den Tathergang. Sie bestätigten auch, dass es an diesem Abend nicht lauter war als sonst.

Der Vertreter der Hausverwaltung gab an, dass bereits seit Ende Juni 2019 nicht-deutsch Sprechende Gruppen im Haus durch den Angeklagten bedroht wurden. Er habe eingefordert von der Hausmanagerin, dass die Gruppen sich dort nicht mehr zu treffen haben und habe gedroht, wenn das nicht so geschieht, würde er mit seiner Rockergang vorbei kommen. Er sei eigenmächtig in Gruppen gegangen und habe diese gestört. Eine Probe eines türkeistämmigen Frauenchors habe er aufgelöst, habe den Teilnehmerinnen gesagt, sie müssten nun alle gehen, und die Frauen seien so verängstigt gewesen, dass sie gingen. Bei deutschen Veranstaltungen und Gruppen hatte er sich nie beschwert.

Anschließend wurden PolizistInnen befragt. Diese sagten u.a. aus, dass der Angeklagte 41 Waffen in seiner Wohnung gelagert hatte, weitere Luftdruckpistolen und Monition, Messer, Macheten, Schlagringe, Säbel, ein Tonfa, eine Saufeder. Außerdem wurden eine Reichskriegsflagge, ein NPD-Wimpel, ein Pamphlet „Der Weg zum Reich“ und Rechts-Rock CDs gefunden. Außerdem kam zur Sprache, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt bei der Stadt Ulm als Bote beschäftigt war und nach der Tat gekündigt wurde.

Eine Polizistin, die den Angeklagten am Abend der Tat in die Dienststelle brachte, erinnerte sich, dass es während der Fahrt „nur so aus ihm herausgesprudelt“ sei: Ein Schimpfen über die Ausländer, dass „die“ alle in unser Land kämen, hier nicht arbeiteten, trotzdem alles geschenkt bekämen, dass der Staat und die Stadt nichts dagegen unternähmen. „Er hat sich mehr oder weniger berufen gefühlt diese Regeln selbst aufzustellen“, sagte die Beamtin. Aufgrund dieser Aussagen sei die Tat von vorne herein als politisch motivierte Straftat eingestuft worden.

Bei seiner eigentlichen Vernehmung habe sich Herr F. dann deutlich bedeckter gehalten, habe laut der Beamtin, die ihn vernommen hatte, nur vage von "Selbstschutz" gesprochen, habe angedeutet, dass es "so nicht weitergehen könne im Land", sich ansonsten aber auf die vermeintliche "Ruhestörung" und damit einhergehenden Affekt berufen. Er habe behauptet, dass er die Waffe "eh in der Hand hatte", weil er damit zu Hause geübt habe. Die Beamtin habe ihn gefragt, ob er also im betrunkenen Zustand mit der geladenen Waffe zu Hause übt? Er habe gesagt: „Aber ungeladen.“ Sie habe gefragt, ob das heißt, dass er die Waffe extra geladen habe, um auf die Straße zu gehen? Er habe daraufhin sich selbst verbessert und gesagt, nein, die Waffe sei schon geladen gewesen...

In ihrem Plädoyer forderte die Staatsanwaltschaft 12 Monate auf Bewährung mit 2 Jahren Bewährungsfrist. Sie stellte ein rassistisches Motiv klar fest, sprach allerdings auch von einer psychischen Belastung durch den Lärm und von einer Affekttat.

Die Nebenklage forderte 15 Monate auf Bewährung mit 3 Jahren Bewährungsfrist. Sie stellte das rassistische Motiv klar heraus und widersprach dem von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen Narrativ der Affekttat. Dabei erinnerte sie an die vorhergegangenen Bedrohungen im Haus durch den Angeklagten.

Außerdem wies sie darauf hin, dass die Entschuldigung in einer vom Anwalt vorgelesenen Einlassung nicht besonders glaubhaft sei, zumal der Angeklagte laut ihr mit einem rassistischen Motiv auf seinem Pullover im Gericht saß. Der von der Nebenklage verfolgte Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mit bedingtem Tötungsvorsatz wurde von Richter Chama zuvor abgelehnt.

Der Verteidiger des Angeklagten schloss sich der Staatsanwaltschaft an.

Abschließend wurde der Angeklagte durch das Gericht nach einer letzten Aussage befragt. Der Angeklagte entschuldigte sich, verwies aber auch auf seine belastende häusliche Situation mit seiner kranken Ehefrau.

Das Gericht verurteilte den Angeklagten im Sinne der Anklage und folgte der Strafmaßforderung der Nebenklage. Der Richter machte klar, dass das Motiv Rassismus war und verurteilte auch nach §46 StGB. Er schloss eine Affekttat aus und sagte zu dem Angeklagten wörtlich: „Sie sind ein Rassist.“