In eigener Sache
Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
30.10.17

NSU-Monologe: Eine Geschichte des Kampfes um Wahrheit und Gerechtigkeit

Das dokumentarische Theaterstück „NSU-Monologe“ der Berliner Bühne für Menschenrechte wurde im Rahmen der LEUCHTLINIE-Fachtagung „An der Seite der Betroffenen von rechter Gewalt“ im Kulturzentrum Merlin aufgeführt

Rund 120 Interessierte fanden sich am Abend des 24.10.2017 zu einer bewegenden Aufführung des Theaterstücks „Die NSU-Monologe“ der Bühne für Menschenrechte im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin zusammen. Die Aufführung fand im Rahmen der Fachtagung „An der Seite der Betroffenen von rechter Gewalt“ (s. eigener Artikel auf der Homepage) statt und wurde vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit LEUCHTLINIE und der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg e.V. organisiert. Die anschließende Diskussion zeigte, wie aufwühlend die Darbietung auf die Zuschauerinnen und Zuschauer wirkte.

„Der Kampf geht weiter!“ - mit diesen Worten beendete der Schauspieler in der Rolle Ismail Yozgats die Aufführung. Wahrlich, die NSU-Monologe erzählen eine Geschichte des Kampfes; des Kampfes um Wahrheit und Gerechtigkeit. Sie erzählen die Geschichte(n) von Elif Kubasik und Adile Simsek, die beide ihre Ehemänner gewaltsam verloren, sowie von Ismail Yozgat, dessen Sohn ermordet wurde. Sie erzählen eine Geschichte von Trauer und Wut, von Hoffnung und Enttäuschung, von der Schikanierung durch Behörden und beharrlicher Willensstärke. Die Bühne für Menschenrechte führte ihre Stücke Asyl-Monologe und Asyl-Dialoge bereits mehr als 400 Mal auf. Nun kamen sie mit ihrem dritten Stück, das sich mit der Situation der Hinterbliebenen der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ beschäftigt, zum ersten Mal nach Stuttgart. Die Geschichte ist wahr, alle Aussagen entstanden ohne sprachliche Veränderung durch Interviews, sie wurden lediglich gekürzt. Das Ergebnis ist ergreifendes und bewegendes Theater - und das Entsetzen darüber, was bei der Aufarbeitung dieser Verbrechen alles schiefgegangen ist.

Jede der drei Lebensgeschichten ist einzigartig, verbunden werden sie nur durch ihr gemeinsames  Schicksal. Die Erzählungen gehen ineinander über, verflechten sich an zahlreichen Stellen, um die Parallelität der Erfahrungen darzustellen: familiäres Glück, Ankunft in Deutschland, Geburt der Kinder, Alltagssorgen. Wie die grausame Nachricht vom Tod des geliebten Menschen hereinbricht - und wie danach alles anders wird. Wie die Angehörigen selber von der Polizei verdächtigt werden und sich stundenlangen Verhören aussetzen müssen. Wie sich Gefühle von Ohnmacht breit machen und Selbstzweifel einschleichen, die eine wirkliche Trauer verhindern. Und wie nach Bekanntwerden des NSU 2011 noch nicht einmal alles besser wird, da der Gerichtsprozess in München eine weitere Belastungsprobe darstellt. Immer wieder wird die Anspannung während des Stücks aufgebrochen durch Momente der Freude, etwa als Semiya Simsek heiratet, oder durch Erlebnisse der Solidarität, wie  beim gemeinsamen Trauermarsch. Erzählt wird also nicht nur eine Geschichte des Kampfes - sondern auch eine des Trosts und Zusammenhalts.

„Ich dachte eigentlich, ich kenne die Geschichte, aber diese Art und Weise, das Thema emotional anzugehen, war auch mir neu.“ Die ersten Worte von Peter Schwarz, der die anschließende Diskussion moderierte, zeugten davon, wie ergriffen das Publikum auf die Darbietung reagierte. Nicht wenigen im Publikum fiel es schwer, direkt nach der Aufführung Worte zu finden. Es entspann sich dennoch eine lebhafte Diskussion, zunächst auf dem Podium, zwischen Peter Schwarz, Redakteur bei der Waiblinger Zeitung und Ko-Autor des Buches „Schmerzliche Heimat“, das er zusammen mit Semiya Simsek verfasst hatte, sowie zwischen Kutlu Yurtseven, Aktivist, Hip-Hop-Musiker und Sozialarbeiter, und Friederike Hartl vom Stadtjugendring Stuttgart. Dabei ging es vor allem um die schleppende Aufklärung der NSU-Verbrechen und um das als zu gering beklagte Interesse am gesamten Problemkomplex in der Bevölkerung. Nach Öffnung der Diskussion für das Publikum schließlich stand die Frage zentral im Raum, wie sich Jugendliche heutzutage mit dem Thema Rechtspopulismus auseinandersetzen.

(Manuel Schönberg, Oktober 2017)